Allgemeine Einleitung
Bei der Einteilung des Mittelspiels kann man auf verschiedene Art und Weise vorgehen. Am nächsten liegt es, die Einteilung auf Kennzeichen zu stützen wie: vorhandenes Material, charakteristische Bauernformationen usw. Man nimmt dabei die jeweilige Stellung als Grundlage; aber da sich diese Stellung bei jedem Zug verändert, müssen die Besonderheiten, auf die sich die Einteilung stützt, so gewählt werden, daß sie einen mehr oder weniger dauerhaften Charakter haben. Derartige Besonderheiten heißen Stellungsmerkmale und sollen für uns die erste Richtschnur bei der Einteilung des Mittelspiels bilden.
Neben dieser Einteilung nach dem momentanen Zustand auf dem Brett, die man wohl die statische nennen kann, tritt eine zweite, die von den Geschehnissen auf dem Brett ausgeht und deshalb die Bezeichnung dynamisch verdient. Wenn wir z.B. alle Partieteile zusammenstellen, in denen ein Königsangriff ausgeführt wird, stellen wir uns auf einen dynamischen Standpunkt.
Es ist einzusehen, daß diese beiden Einteilungen einander überschneiden. Z. B. kann ein Königsangriff bei verschiedenartigen Bauernformationen unternommen werden, und umgekehrt kann sich aus einer bestimmten aggressiven Bauernformation auch etwas anderes als ein Königsangriff ergeben.
Sowohl die statische als auch die dynamische Einteilung beruht auf objektiven Stellungsmerkmalen, ob es nun den Zustand oder die Geschehnisse in einer Stellung betrifft. Man darf aber die subjektive Seite nicht ganz außer acht lassen. Es ist häufiger die Ausnahme als die Regel, daß es in einer gegebenen Stellung nur einen einzigen guten Zug oder Plan gibt. Im allgemeinen muß man unter verschiedenen guten Ideen seine Wahl treffen, und dabei spielen natürlich die subjektiven Faktoren eine Rolle.
Wenn man also an eine Einteilung des Mittelspiels herangeht, kann und muß man diese verschiedenen Gesichtspunkte in Betracht ziehen. Man kann noch soviel systematisieren und theoretisieren, eine Sache darf man nicht aus dem Auge verlieren, nämlich daß dieses Buch etwas lehren soll, was in der praktischen Partie auch von Nutzen sein kann. Und wenn wir eine noch so genaue Einteilung nach Bauernformationen und sonstigen Stellungsmerkmalen vornehmen, ist unsere Mühe doch nutzlos, wenn wir dabei nicht berücksichtigen, ob die gewählten Merkmale auch häufig genug in der praktischen Partie vorkommen.
Mit anderen Worten: es kann recht nützlich sein, die zu behandelnde Materie nach gewissen Standpunkten zu ordnen, aber letzten Endes wird die richtige Einteilung von der Praxis vorgeschrieben. Aus der Vielzahl der Stellungsmerkmale und Geschehnisse im Partieverlauf dürfen nur die ausgewählt werden, die für die Praxis am wichtigsten sind. Die zweckmäßige Einteilung ist damit in erster Linie eine Frage der Erfahrung geworden - Erfahrung hinsichtlich der Schachliteratur, insbesondere aber hinsichtlich der Vielfalt bestimmter Formen und Erscheinungen.
Auf Grund der vorstehenden Betrachtungen sind wir zu folgender Einteilung gekommen:
Statische Merkmale:
I. Der relative Wert der Figuren
II. Zentrumsbildung
III. Verschiedene Bauern-Formationen
IV. Der Kampf um offene Linien
V. Schwache Bauern
Dynamische Merkmale:
VI. Die Initiative
VII. Die Arten des Königsangriffs
VIII. Die Verteidigung
IX. Das Lavieren
X. Abwicklung und Übergänge
Subjektive Merkmale:
XI. Bekannte Unzulänglichkeiten
XII. Der individuelle Stil