aktik für die Altersklasse U12
Mit der kindlichen Entwicklung geht auch eine Entwicklung der Taktik einher. Die Taktik von Kindern unter 10 Jahren beinhaltet im Normalfall meistens einfache Motive im Sinne von Tricks und Fallen. Mit der Pubertät beginnt im Alter von 11-12 Jahren, also gerade im Bereich der U12, die intellektuelle Entwicklung der Kindes. Die Konzentrationsfähigkeit steigt erheblich an, wird konstanter und zuverlässiger. So wird es möglich, lange und stark verzweigende Varianten zu berechnen oder zumindest leidlich korrekt einzuschätzen. Mit der intellektuellen Entwicklung steigert sich die Fähigkeit, Ausnahmen zu erkennen, Abweichungen von Standardregeln und Abstraktionen zu erkennen; aus der kindlichen Schwarz / Weiß - Betrachtung entstehen die Grautöne komplexeren Denkens und Bewertens.
Natürlich klafft bei Kindern das Entwicklungsalter und das kalendarische Alter um bis zu + / - 2 Jahren auseinander, Eltern und Trainer sollten dies bei der Festlegung der Trainingsinhalte und des Trainingsumfanges stets berücksichtigen und manchmal einfach Geduld mit dem Kind haben. Die meisten Kinder sind jedoch in dieser Altersklasse in der Lage, einige Stunden Training in der Woche zu verkraften und das erlernte in Turnieren effektiv umzusetzen. Hilfreich ist dabei der - besonders bei Jungen - erwachende sportliche Ehrgeiz und das Streben nach Erfolg und Anerkennung.
Das Taktiktraining für die U12 sollte verstärkt Variantenberechnung und Stellungsbeurteilung berücksichtigen und neben dem rein taktischen Moment auch allmählich längerfristige Aspekte berücksichtigen. So sollten vom Trainer zusätzlich zu den Taktikmotiven
- Konsequenzen der möglichen Kombination (z.B. eine Qualität könnte erobert werden, aber der Gegner hätte danach mit seinen Leichtfiguren gute Chancen im Angriff) aufgezeigt werden;
- Abwicklungen (z.B. Vereinfachungen der Stellung mit taktischen Möglichkeiten) besprochen werden;
- Gesichtspunkte des späteren Endspiels (z.B. Vermeidung eines Endspiels mit ungleichen Läufern, wenn es Alternativen dazu gibt) vermittelt werden.
Auf diese Weise wird die Basis für die weitere Entwicklung junger Schachspieler geschaffen und sie werden auf die steigenden sportlichen Anforderungen der nächsten, wichtigen Jahre vorbereitet.
Wichtig ist weiterhin, verstärkt mit der konkreten Variantenberechnung und der logischen Betrachtung und Analyse der jeweiligen Stellung zu arbeiten. Taktik bedeutet auch Berechnen, die reine Intuition ist sehr wertvoll zum Finden von Kandidatenzügen und Ansatzpunkten, aber alleine nicht sicher genug für die Turnierpraxis.
In der U10 Broschüre haben wir uns mit den Problemen des für manche Kinder ersten Starts auf höherer Ebene befasst. Die Probleme mangelnder Information über das, was sie bei der Meisterschaft erwartet, stand im Vordergrund.
Für die U12 gelten diese Probleme in aller Regel nicht mehr. Die meisten der jungen Teilnehmer spielen zumindest 3-5 Jahre Schach in Verein oder Jugendgruppe und haben schon einige Wettkampferfahrung durch Bezirks- und Landesmeisterschaften oder Mannschaftskämpfe. Die körperliche und geistige Entwicklung ist allerdings in diesem Alter manchmal recht unterschiedlich. Wir finden schon kleine Intellektuelle mit erstaunlichen Kenntnissen, aber auch Kinder, die noch 1-2 Jahre hinter ihrem kalendarischen Alter zurückliegen. Dadurch ist das Niveau der U12 recht unterschiedlich: Die Spannweite reicht vom "Jungmeister" und Hoffnungsträger mit Elozahl bis zum rechten Kind mit ungenauem und schwankendem Spiel, eben Kinderschach.
Auch der Ausbildungsstand der Kinder ist sehr unterschiedlich. Je nach der Stärke des Landesverbandes und dem engeren sozialen Umfeld (Eltern, Trainer, Verein) reicht das Spektrum von erstaunlichen eröffnungstheoretischen und spieltechnischen Kenntnissen bis zu sehr schwachem, grob fehlerhaftem Spiel. Wir werden in dieser Broschüre ausreichend Beispiele für beides finden.
Nach der Arbeit an der U12-Broschüre fand der Verfasser die Ergebnisse der DEM U12 eher enttäuschend. Man sollte meinen, mit der größeren Erfahrung und den zusätzlichen Trainingsjahren würde sich auch das taktische Wissen und Können verbessern. Das erwies sich aber als Trugschluss; es war sogar schwer, genügend gute und geeignete Beispiele für diese Broschüre unter den rund 500 Partien zu finden. Dies ist möglicherweise eine Folge des übermäßigen Trainings der Eröffnungstheorie. In vielen Partien hat man beim Nachspielen den Eindruck, dass nach den bekannten Eröffnungszügen kein Plan gefasst wurde und die Kinder oft wähl- und sinnlos hin und her ziehen, bis ein simpler Fehler die Entscheidung bringt. Selbst bei eher einfachen Eröffnungssystem scheinen oft die Standardpläne nicht bekannt zu sein. Auch das taktische Wissen ist nicht so groß, wie man von den besten 11-12jährigen Kindern Deutschlands erwarten sollte. Oft werden klare Chancen nicht genutzt oder Fallen und Gefahren nicht rechtzeitig erkannt.
Für das Training im Vorfeld einer Landesmeisterschaft oder Deutschen Meisterschaft sollte die Kenntnis der eröffnungstypischen Taktik unbedingt ein Teil des Vorbereitungsprogramms sein. Jede Eröffnung hat eigene taktische Chancen und Optionen, die beide Seiten kennen müssen, um sich in der Vielzahl der Möglichkeiten zurecht zu finden. Manche Eröffnungen und Varianten überfordern von vornherein die Möglichkeiten der Kinder. Beispielsweise wurden in der U12 in 2003 einige Partien mit der Französischen Verteidigung ohne c7-c5 und statt dessen mit frühen Sb8-c6 gespielt. Selbst für einen erfahrenen Spieler ist dieser Komplex nicht leicht zu spielen und eher problematisch. Kinder können mit diesem Handicap kaum auf Ausgleich oder Vorteil hoffen. Solche oder vergleichbare Varianten werden gerne als Überraschung und "Geheimwaffe" gebracht. Der Schuss geht aber nach hinten los, wenn das Kind selbst mit solchen Varianten überfordert ist. Deshalb sollte in der Vorbereitung unbedingter Grundsatz sein:
- Kind - /spielergerechte Eröffnungen und Varianten zu wählen;
- die Pläne, Ideen und Ziele der Eröffnung / Variante ausführlich zu erklären und einzuüben;
- die taktischen Motive, Opfereinschläge und Schwachpunkte der gewählten Eröffnungen zu erläutern und ihre Umsetzung intensiv zu trainieren.
In der U12 beginnt der Umbruch vom Kinder- zum Jugendschach. In den folgenden Jahren bis zur U18 wird an die Stelle simpler Überrumpelung und von Trick- und Fallenschach immer mehr solides Grundwissen und spezielle Kenntnisse besonders der Eröffnungstheorie treten. Eltern und Trainer sollten nicht zu lange an den Strategien festhalten, die im Kinderschach erfolgreich sind, aber mit wachsenden und sich wandelnden Leistungsanforderungen ihre Berechtigung und ihre Erfolgschance verlieren.
Unsere Aufgaben
sind aus Partien von Deutschen Meisterschaften U12 entnommen. Der Schwierigkeitsgrad ist wechselnd; von einzügigen Matts bis zu komplizierten Kombinationen ist alles vertreten.
Bewusst werden keine Angaben über die zu erwartende Lösung wie etwa "Matt in 3 Zügen" usw. vorgegeben. Die Situation des Wettkampfes soll im Training simuliert werden - und während einer Turnierpartie sagt ja (hoffentlich!) auch keiner dem Spieler, was an Möglichkeiten in der Stellung steckt! Einige Aufgaben können nicht sinnvoll gelöst werden bzw. die "Lösung" wird durch eine Konter-Kombi widerlegt. Auch dies simuliert die Realität des Wettkampfes und erhöht die Aufmerksamkeit; die Erkenntnis, dass eine Stellung keinen kombinatorischen Ansatz hergibt ist genauso wichtig wie das Erkennen einer Kombination!
Einige Fehlleistungen und Irrtümer werden ebenfalls vorgestellt. Dies hilft dem Kind, ein reales Bild von den Anforderungen und vom Niveau einer solchen Meisterschaft zu erhalten. Es zeigt, dass andere - auch auf der Ebene einer Deutschen Meisterschaft - auch nur mit Wasser kochen. Dies kann u.U. auch ermutigen, das Selbstvertrauen stärken oder einen Anreiz bieten, mit etwas mehr Trainingsanstrengung vielleicht auch selbst einmal zu einer höherrangigen Meisterschaft kommen zu können! Außerdem prägen sich "lustige" Fehlleistungen anderer gut ein; manchmal besser, als dies viele Erklärungen am Demobrett vermocht hätten!
Anwendung im Training
Das beste Trainingsergebnis erzielt man in der Regel, wenn man die jungen Spielern eine bestimmte Anzahl von Aufgaben lösen lässt oder sie für eine festgelegte Zeit (mindestens 1 Stunde, besser aber 2 Std.) die Aufgaben bearbeiten lässt. Unsere Auswertung basiert auf dem Wert "Durchschnittszeit zur Lösung einer Aufgabe", (s. 3.Umschlagseite) oder auf einem Punktsystem, was den flexiblen Einsatz ermöglicht.
Der Schüler sollte an der einzelnen Aufgabe nicht länger als 5 Minuten nachdenken. Findet er in dieser zeit die Lösung nicht, soll er zur nächsten Aufgabe weitergehen. So wird sowohl effizient gearbeitet als auch eventuelle Frustration, die durch "verbeißen" entstehen könnte, vermieden. Nach einigen komplizierten Stellungen ist immer wieder eine einfache eingestreut, so dass eine Mindestquote von Erfolgserlebnissen gewährleistet ist. Allerdings sollte man leistungsschwächeren Kindern die U12-Broschüre nicht als erstes Taktik-Trainingsmaterial in die Hand geben, sondern in diesem Falle lieber mit "Fit für Kinder- und Jugendturniere?" beginnen oder bei Anfängern sogar mit der in 9/2003 erscheinenden Broschüre "1,2,3 - TAKTIK!", in der einfache, grundlegende Kombinationen trainiert werden.
Bei nicht gelösten Aufgaben kann man dem Schüler den 1. Zug (siehe Kurzlösungen ) zeigen. Er soll dann den Lösungsweg erkennen und weiter ausführen. Bei Aufgaben, die dennoch nicht gelöst worden sind, kann der Trainer später feststellen, ob sie Gemeinsamkeiten (ein bestimmtes Motiv, lange Varianten, stark verzweigende Varianten usw., das Fehlerprofil ) und eventuelle Mängel in diesem Bereich im Training berücksichtigen. Die Aufgabe 107 eignet sich besonders zum Einstieg in die Analyse und Variantenberechnung. Sie stammt allerdings aus einem Spitzenkampf um den U12 Meistertitel und darf also in keinster Weise als typisch für das Niveau dieser Altersklasse betrachtet werden. Aber im Sinne der Strategie "Fordern, um zu fordern!" kann man dem Schüler eine solche Aufgabe vorlegen, auch wenn ihre konkrete analytische Lösung anfangs eher bescheiden ausfallen dürfte. Aber auch der lange Weg zur präzisen Analyse beginnt mit dem ersten Schritt!
Für Trainer von Jugend- und Schulschachgruppen empfiehlt sich, zu Beginn oder Ende einer Unterrichtseinheit eine oder einige wenige Kombinationen vorzuführen. Das lockert auch als langweilig empfundenes Training wie etwa Endspiele auf und der Trainer kann mit leichteren Aufgaben auch schwächere Kinder in den Unterricht einbeziehen. Wer Taktik intensiver trainieren möchte, kann mit "Lösungsturnieren" eine sportliche Note einbringen, die für viele Kinder ein besonderer Anreiz zur Mitarbeit ist.
Stellungen, die sich aus unseren Kombis ergeben, können im "Fortsetzungsturnier" einzeln oder in kleinen Beratungsgruppen ausgespielt werden, was ein gutes praktisches Training ist - wie viele gute Stellungen werden im Jugend- und Schulschach noch "verstochen"?
Und nun viel Spaß mit dieser Broschüre und Erfolg im Schach wünscht euch
Heinz Brunthaler, Einleitung