Vorwort
Im Sommer 1996 wurde Elista, eine bis dahin wenig bekannte Stadt im Süden der Russischen Föderation, zum Mittelpunkt der Schachwelt. Anatoli Karpow und Gata Kamsky spielten dort um die Weltmeisterschaft der FIDE. Ihr Duell in der Steppe war eines der härtesten in der Schachgeschichte. Jeden zweiten Tag absolvierten die beiden WM-Finalisten ein Spiel, dazu gab es viele Hängepartien, Timeouts waren laut Reglement nicht erlaubt. Alle Begegnungen wurden ausgekämpft, nur neun von ihnen endeten unentschieden. Salonremisen gab es nicht. Die Schachwelt zollte Karpow und Kamsky für diese Leistung ihren Respekt.
Als der 45jährige Moskauer in der 18. Partie seinen schwarzen Bauern auf das Feld a5 setzte, stellte der Herausforderer aus Brooklyn den letzten vergeblichen Gewinnversuch ein. Mit dem Remis nach 80 Zügen war der Titelverteidiger am Ziel seiner Wünsche. Er hatte sein neuntes (!) WM-Turnier vorfristig mit 10,5 : 7,5 beendet und den fünften Titel gewonnen.
Das Schachduell in der kalmückischen Hauptstadt offenbarte einen Klassenunterschied zwischen beiden Kontrahenten. Karpow zeigte sich einmal mehr als Ausnahmekönner auf den 64 Feldern mit enormer Matcherfahrung sowie tiefstem Schachverständnis. Der 22jährige Kamsky konnte die Überlegenheit des Champions auch durch größten Kampfgeist nicht wettmachen.
Als Augenzeuge möchte ich Ihnen in diesem Buch das WM - Geschehen von Elista nahebringen. Neben den dramatischen Partien sowie der Schilderung und Kommentierung des Matchverlaufs in Wort und Bild fehlt auch die turbulente Vorgeschichte dieser Weltmeisterschaft nicht, die mit einjähriger Verspätung begann.
Am Anfang waren Montreal, Baku, Moskau und eine Reihe anderer Städte als WM-Ausrichter im Gespräch. Einen Sturm der Entrüstung erntete die Idee, das Spiel der Könige in Irak unter den Augen von Saddam Hussein zu veranstalten. Nachdem weltweite Proteste die Bagdad-Variante verhindert hatten, wurde Elista für Karpow und Kamsky zur Endstation Sehnsucht.
Der Leser lernt in diesem Buch auch den FIDE-Präsidenten Kirsan Iljumshinow kennen und erhält einen Eindruck vom Leben sowie der Gastfreundschaft des kalmükkischen Volkes.
"Duell in der Steppe" behandelt ein interessantes und wichtiges Kapitel der jüngsten Schachgeschichte. Mit dem vorliegenden Buch setzt der Verlag Bock & Kubier seine Tradition fort, große Schachhöhepunkte in angemessener Form zu präsentieren.
Berlin, August 1996
Dagobert Kohlmeyer